Das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln bringt es zuweilen mit sich, dass man sich nicht aussuchen kann, wer sich neben einen setzt.
Interessiert betrachtet man deshalb alle potenziellen Nachfolgekandidaten seines ehemaligen Nebensitzers, der gerade seinen Platz geräumt hat, um beim nächsten Halt auszusteigen.
Schnell kristallisiert sich im Regelfall aus der Gruppe von in der Nähe stehenden Mitfahrern dann eine Person heraus, die man als Favorit auf den frei gewordenen Sitzplatz erkennen kann – und scannt deshalb die Person unbewusst von oben bis unten nach sympathischen oder eher heiklen Persönlichkeitsmerkmalen. Schließlich verbringt man ja einiges an Lebenszeit in nächster Nähe zueinander, bis einer von beiden die zufällig entstandene Sitzgemeinschaft wieder auflöst.
Skeptisch blickt man deshalb dem nahenden Menschen entgegen, der mit eingeschaltetem Lautsprecher telefoniert und entschlossen auf den freigewordenen Platz zusteuert – das Handy in Hüfthöhe haltend, was gleichbedeutend mit der Ohrenhöhe sitzender Fahrgäste ist. Der mit bunten Sneakern und trendigem Kapuzenpulli bekleidete Neu-Nachbar lässt sich nieder, sammelt aber wider Erwarten sofort eine Menge Pluspunkte.
Ohne einen schlechtes Gewissen verbreitenden Blick abbekommen zu haben, kommuniziert der Neuankömmling fortan mit ausgeschaltetem Lautsprecher und in angenehmer Lautstärke. Beides lässt die anfängliche Skepsis bezüglich der Anwesenheit des neuen Reisegefährten schnell verblassen.
Interessiert nimmt man neben dem Zeitunglesen auf, dass er sich auf Französisch unterhält. Offenbar ist er auf dem Weg zu einem Freund, mit dem er sich in der Stadt treffen möchte – in der „Cappuccino-Straße“, wie er dem unsichtbaren Gesprächspartner mitteilt.
Offenbar ist der Angerufene jedoch etwas verwirrt ob der ungewöhnlichen Ortsangabe, denn eine nach dem schaumigen Kaffee benannte Straße gibt der Münchner Stadtplan auch in französischer Sprache nicht her. Gut unterhalten und als erfahrener Münchner mit der richtigen Straßenbezeichnung im Kopf steigt man dann am Fahrziel mit einem angedeuteten Grinsen aus.
Schade eigentlich, denn es wäre schon interessant gewesen, einige Stationen weiterzufahren um festzustellen, ob sich die beiden Kumpels dann doch noch in der Kapuzinerstraße getroffen haben.