Das kann man mit der Anonymität von Amazon nicht vergleichen. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt die Buchhändlerin. Gerade hat man als erster Kunde des Tages ihr Geschäft betreten und sieht sie deshalb noch beim Wegräumen gerade angekommener Kartons, während sie freundlich ihre Expertise zu dem Buch anbietet, dessen Inhaltsangabe auf dem hinteren Buchdeckel man gerade interessiert studiert hatte.
„Ja! Eine Frage, ist das ein Frauenbuch?“, fragt man deshalb mit Zuversicht und erwartet deshalb eine Antwort, die grob in Richtung „Ja, das handelt von der Freundschaft zweier Freundinnen, deshalb kann es sein, dass es Frauen eher anspricht als Männer“. Die Buchhändlerin ist jedoch weit davon entfernt, banale Worte zu retournieren.
Vielmehr nimmt sie die Frage mit der Energie einer Fußballerin kurz nach Anpfiff der Begegnung auf. „Was ein Frauenbuch ist, kann man nicht einfach so beantworten“, hebt sie an – und man ahnt, dass man womöglich in ein literarisches Wespennest gestochen haben könnte. „Für Männer kann es genauso interessant sein, ein Buch mit Frauen als Hauptpersonen zu lesen.“
Noch bevor man bei erkennbarer Anklage wegen Verstoßes gegen das gesunde Frauenempfinden auf Verteidigungsmodus umstellen kann, bietet die Buchhändlerin allerdings charmant einen Espresso an, damit sich der Kunde in aller Ruhe in die ausgesuchten Bücher vertiefen kann. Das kommt extrem gut an, zumal es einen an diesem Morgen in den Buchladen getrieben hat, weil schon fast die erste Woche des zweiwöchigen Sommerurlaubs vorbei ist und es in dieser Zeit nichts außer Dauerregen gab. Außerdem, so denkt man sich, gibt es auf der Amazon-Homepage keinen Bestellbutton für einen frisch gebrühten Espresso, den man beim Probelesen oder Bestellen gereicht bekommt – und zwar mit Keks, weit vor Ablauf von dessen Mindesthaltbarkeitsdatum.
Die Basis für ein gepflegtes Casting der dringend benötigten Schlechtwetterliteratur ist also perfekt gelegt. Die ins Viertelfinale eingezogenen Bücher liegen mit dem Charme ihrer fast unberührten Rücken bereit und der Wettbewerb um den Titel eines Romans, der das ungeteilte Interesse eines Mannes findet, ist eröffnet. Schließlich schaffen es sogar zwei der empfohlenen Titel bis an die Kasse. „Die zwei sind’s geworden“, lässt man die Buchhändlerin wissen. Und während sie die Barcodes abscannt, plagt einen dann doch noch mal das eingangs angerissene Thema.
„Um das klar zu stellen. Ich kaufe mir ab und zu eine Frauenzeitschrift, weil mich interessiert, was da Thema ist“, bringt man an und hofft auf Verständnis und Besänftigung. Zu Recht, oder?
„Wissen Sie eigentlich, dass Frauen zum größten Teil von Männern geschriebene Bücher lesen müssen, weil bedeutend weniger weibliche Schriftstellerinnen verlegt werden?“, feuert sie das nächste Argument gegen den offensichtlich unverständigen Mann auf der anderen Seite der Verkaufstheke. „Wirklich? Ich habe nicht den Eindruck, dass es wenige Bücher von Frauen gibt. Und auch in Literatursendungen drängt sich mir das nicht auf.“
Es fallen einem Frauen wie Elke Heidenreich als Kritikerin ein und besprochene Bücher sowie Interviews von Frauen in der preisgekrönten Literatursendung „druckfrisch“. „Die Verlage machen das geschickt“, doziert die offenbar studierte Literaturwissenschaftlerin an der Kasse. „Bei Bücherprogrammen werden vorne die Bücher von Frauen vorgestellt, im weiteren Verlauf kommen dann die 80 Prozent der von Männern geschriebenen Romane.“ Okay, das sind Argumente, die man nicht ungeprüft als unwahr abtun sollte.
Als Angebot eines Unentschiedens kurz vor Abpfiff des kurzweilig und angenehm verlaufenen Besuchs versucht man noch ein versöhnliches „Aber wir müssen den Geschlechterkampf doch nicht an der Buchtheke ausfechten.“ Das entschlossene Luftholen zum argumentationsfreudigen Gesichtsausdruck der Gegenseite sieht jedoch nicht nach Einlenken aus. Aus Notwehr bleibt deshalb nur, den Zeigefinger senkrecht an die Lippen zu legen.
Also dann, bis zum nächsten Mal.