Man stelle sich vor, die deutschen Nationalkicker Joshua Kimmich und Serge Gnabry wären gerade Weltmeister geworden. Frei von der Leber weg erzählen sie im Interview nach der Siegerehrung, wie sie sich am Abend zuvor auf das Finale vorbereitet hatten. „Ich habe zwei Baby-Weizen getrunken“, würde Kimmich dann sagen, Gnabry würde dann anfügen: „Ich hab mir noch eine Pizza gegönnt.“
Undenkbar, oder?
Am Sonntagnachmittag haben freilich zwei Spitzenathleten mit ihren gerade gewonnenen Medaillen im Canadier-Einer locker darüber geredet, dass sich menschliche kleine Ernährungssünden und Topleistungen auf Weltniveau nicht ausschließen müssen. Bei den ICF Weltmeisterschaften im Kanuslalom hatte sich Weizen-Liebhaber Sideris Tasiadis den Titel gesichert, Pizza-Fan Franz Anton wurde feierlich die Bronzemedaille umgehängt.
Große Emotionen riefen nicht nur waghalsig einen der längsten Whirlpools der Welt hinunterstürzende Menschen hervor.
Vielmehr hatte eine Hündin alle Pfoten voll zu tun, um vor aufdringlichen Fotografen in den Schutz des „Teams Sidi“ zu flüchten, dem Fanclub des Weltmeisters Tasiadis. Warum? Sie hatte eine Akkreditierung um den Hals hängen, der sie als „Milou Tasiadis“, also als tierisches Mitglied des frischgebackenen Weltmeisters auswies. Weil Hunde auf der Anlage des Augsburger Eiskanals keinen Zutritt hatten, entschieden sich die Veranstalter, Milou mit der Akkreditierung für die Event Area Respekt und Bewegungsfreiheit bei der Siegerehrung ihres Herrchens zu verschaffen.
Vielleicht hat Milou auch Timo Boll beschnuppert. Schließlich hatte er weiße runde Kügelchen in der Hand, die vielleicht eine noch nicht probierte Form von Leckerlis sein konnten. Doch Boll, einer der erfolgreichsten Tischtennisspieler aller Zeiten, hatte für seinen Kurzbesuch bei den Titelkämpfen der weltbesten Kanuten Bälle aus Zelluloid mitgebracht – nur, um ein paar kurze Ballwechsel mit dem Radiomoderator und Buben und Mädchen sowie ambitionierten Amateuren vorzuführen. Im Interview berichtete Boll noch von „280 Prozent Sehfähigkeit“, die bei dem Ausnahmekönner an der Platte ärztlich festgestellt wurde. Genauso platt machten die Zuhörer, wie Deutschlands Vorzeigespieler seine Schläge bei Partien auf Weltniveau vorbereitet. „Ich schaue auf den Herstellerstempel des Balles und kann dadurch berechnen, welchen Spin er hat“, erklärte Boll einfach mal so in der Wettkampfpause.
Nach seinen verblüffenden Schilderungen, die nur ein Weltklasse-Crack zum besten geben kann, scheute sich Boll nicht, bei schwierigen Windverhältnissen mit an die Platte gebetenen Amateuren zu spielen, um sich vielleicht beim einen oder anderen Ballwechsel zu blamieren. Freilich absolvierte Boll diese Herausforderung ebenso souverän wie seinen Rückzug von der Event Area, um den Kanuten wieder die Bühne zu überlassen. Weil die nächsten Läufe anstanden, trat Boll gut gelaunt wieder in den Hintergrund, um sich mit ausgelassen gegen Werbebanden schlagenden und mit Händeklatschen Stimmung machenden Zuschauern über ein großes Sportfest zu freuen. Was war nochmal der Unterschied zwischen den Disziplinen Canadier und Kajak? War an diesem Tag am Augsburger Eiskanal irgendwie nicht so besonders wichtig. Viel wichtiger war die Erkenntnis, dass sich Stars als Menschen und gleichzeitig als die weltbesten Athleten ihrer Sportart präsentieren können. Das geht!