Keine Frage: Es tut schon verdammt gut, bei der Friseurin seines Vertrauens entspannen zu können.
„Gut so?“, fragt sie mit freundlicher Stimme zum Auftakt des Wellness-Programms, nachdem sie die Höhe des Waschbeckens exakt so eingestellt hat, dass der leicht HWS-geschädigte Nacken des Büromenschen fast schwerelos in der Wohlfühlkuhle gebettet da liegt. Wenn er dann mit einem „Ja, perfekt“ antwortet, fragt die Friseurin nochmal „Gut so?“ und findet auch noch die richtige Wassertemperatur für das Waschen des pflegebedürftigen Haupthaars.
Das Ritual des Waschgangs ist der Auftakt zu einer immer wiederkehrenden Begegnung, bei der man sich irgendwann die Frage stellt: Ist das eigentlich eine Beziehung?
Immerhin reist man ihr alle paar Wochen hinterher, seit sie lapidar verkündete, dass sie in Zukunft den Salon in der Großstadt verlässt, um in einem kleinen Friseurladen am Wohnort die Schere kreisen zu lassen.
Und immerhin hat man sich auf fast entwürdigende Weise erniedrigt, ihr bei der ersten Terminvereinbarung am Telefon irgendeinen Grund dafür zu liefern, dass man sich jetzt gerne eine gute halbe Stunde durch den Feierabendverkehr kämpft.
Aber spätestens nach einigen Trostbesuchen bei anderen Scherenkünstlerinnen merkt man, dass die eine Friseurin nicht einfach so auswechselbar ist. Sie sorgt bis zum nächsten Termin dafür, dass man sich selbstsicher in dem Bewusstsein bewegen kann, dass jedes Haar richtig steht oder liegt. Diese Selbstsicherheit muss ein Psychologe bei seinem Patienten erst mal hinbekommen – und zwar bei jedem Besuch.
Konnte man sich allerdings anfangs für die fast wie Stalking anmutende Treue zur Ehrenrettung noch damit herausreden, dass der neue Salon genau auf dem Weg zum Wohnort der Freundin liegt, ist diese Begründung irgendwann mal weggefallen.
Natürlich weiß sie um den wiedererlangten Single-Status, denn als dritte Frage kommt immer ein ernst gemeintes „Wie geht’s?“
Man fängt dann über wichtige Banalitäten zu plaudern an: Wie war’s im Urlaub? Was machen die Kinder? Was, du bist jetzt Oma?
Aber auch: Geht’s dir schon besser? Die hat dir richtig das Herz gebrochen, oder?
Während des Wohlfühltermins für Kopf und Herz kommt einem plötzlich die Frage in den Sinn, seit wann das eigentlich schon so geht.
„Wie lange komme ich schon zu dir? 20 Jahre?“
„Ja, so ungefähr.“
„Du bist eben die einzige Konstante in meinem Leben.“
Nach Absetzen dieser Botschaft ist man einigermaßen froh, dass die Friseurin nicht einen strafenden Blick über den Spiegel schickt. Im Gegenteil sie lacht so ausdauernd, dass die optimale Schnittlinie fast eine Kurve macht, weil sie währenddessen weiter am optimalen Kopfsalat schnitzt.
„Du wirst es nicht glauben“, sagt die Friseurin dann. „Ich habe noch jemanden, der früher in der Stadt zu mir kam, und jetzt weiterhin mein Kunde ist.“
Warum er seiner Scherenvirtuosin jetzt auch in die kleinere Stadt nachreist? „Vor kurzem ist seine Frau gestorben und er meinte: Ich wollte nicht schon wieder eine Frau verlieren.“
Hat man mit seiner Friseurin eine Beziehung? Definitiv ja.